Zu gar gesprächigen Rentnern und dem Altersheimleben

Mit ihrer ganz besonderen «Milchbüechlirächnig» stellte sich das Bühnenduo Strohmann-Kauz unlängst im Saal des Hotels Schwert in Näfels vor. Sie hatten die Lacher schnell auf ihrer Seite. Es wurde mit munteren, an der sprachlichen und inhaltlichen Oberfläche oft verbleibenden Wortspielerein drauflos agiert, dass die Bauchmuskeln bald einmal schmerzten, Mundwinkel oben blieben, Tränen nach heiteren Ausbrüchen zu fliessen begannen.



Zu gar gesprächigen Rentnern und dem Altersheimleben

Ruedi und Heinz, alias Rhaban Straumann aus Olten und der Berner Matthias Kunz zelebrieren ihren Wortreichtum, samt Langsamkeit, Verschmitztheit, Wutausbrüchen, gebrochenes und fehlerhaftes Hochdeutsch (wegen des starken Bezugs auf ausländische, diesmal polnische Pfleger), in unglaublich intensivem Sturm und Drang.

Wenn es in Altersheimen und dort wohnenden Rentnern so zu und hergeht, wie es auf der kleinen Bühne mit den spärlichen Requisiten (Rollator; total altes Radio; roter Kühlschrank mit inliegendem Testament; Liege, die als Schrankbett dient; Kleiderstange auf Rollen – zugleich mobile Kulisse; penetrant klingelndes Telefon; Stuhl und anderem, was im Alter halt so gebraucht wird) der Fall war, dann ade mit Beschaulichkeit, Anschweigen, Gehässigem, Pflegeintensität, mangelnder Mobilität, Alltagstrott. Da wird vieles gewaltig aufgewirbelt, zuweilen leichter Lächerlichkeit preisgegeben. Die beiden pflügen sich lustvoll, beseelt, wortgewandt und -gewaltig durch viele Stationen des Heimbetriebs in einem Tempo, das zu grossem Staunen und intensivem Mitvollziehen unwillkürlich veranlasst. Sie behalten die liebenswürdigen Marotten wie leichte Sprachfehler, beschwerliches Ankleiden, mühsames Bewegen, grandioses Misstrauen, Verbissenheit, Sturheit, pingeliges Feststellen, Fokussieren auf die Eigenheiten weiterer Mitbewohner, Nachäffen von sprachlich unkorrekten Fragen und Aussagen des ausländischen Personals, gutes Potenzial an Vergesslichkeit, angeschlagenes Hörvermögen durchs ganze Stück bei und hauchen damit ihren Figuren eine gewaltig abwechslungsreiche Portion an charakterlichen Eigenheiten ein.

Ruedi ist der penetrant Fragende, Kommentierende, leicht Nörgelnde, ewig mit Hut und dank Gehstock gut unterwegs. Er nimmt auf allen Bühnen mit irgendwelchen Tatsachen breit Platz ein, fragt, vermutet, deutet an und aus. Er ist der Lebemann, der durchaus zu geniessen weiss, leicht bärbeissig dahockt, urteilt und verurteilt. Heinz ist da defensiver, zurückhaltender, unsicherer; einer der sich leicht in die Enge treiben lässt und den cholerischen Anfällen seines Partners nicht gewachsen ist, sich wohl lautstark wehrt, aber eher selten die Oberhand gewinnt.

Man muss den beiden weder Sympathie noch Gegenteiliges zuordnen. Sie sind, wie sie eben sind. Sie überzeichnen Alltägliches ganz gewiss, tun das aber mit einem gehörigen Charme, mit nachvollziehbarer Intensität. Sie reden in virtuoser Vielfalt, agieren ohne Hänger und grinsen zuweilen übers eigene Spiel.

Ruedi und Heinz freuen sich auf die Wartenden im Park – gemeint sind die erfreulich zahlreichen Gäste, die sich über zweimal 45 Minuten hinweg mit einer wahren Lawine an Situationskomik auseinanderzusetzen haben. Die Besucherschar sieht sich von Versprechern, Wortverdrehungen und Umdeutungen überrollt, das Mitvollziehen fordert.

Es wird schon mal die Beerdigung eingeübt, samt Abschied am Grab, Müntschi der Hinterbliebenen, Kosten für den Sarg, der alle Erwartungen erfüllen wird, Einspielen der passenden Musik. Von allen möglichen Fakten ist im Verlaufe des Geschehens hinweg etwas reingepackt: Huonder und Holunder, Ricola, Ruccola und Dracula, Ueli Maurer – auch in der Regierung habe es Handwerker – fast alles eignet sich für den handlungsgerechten Einbezug. Situationskomik ist garantiert. Ruedi beklaut alle, sogar seinen lieben Zimmergenossen, er schnüffelt in dessen letztwilliger Verfügung hemmungslos rum. Mit seinem Partner sinniert er über Alltag, Pflege, Liebe, Tod, Partnerschaft, Vereinsamung, Leiden – Derartiges hätte stärker gewichtet werden können, hätte es doch von zeitweilig Gleichförmigem mal weggeführt. Ein Link sei erlaubt. Einmal sagt Heinz: «Ich telefoniere nicht mehr so gerne, nicht wegen meines Gehörs, sondern wegen dem was ich höre.» Und wenn vom «Anschlag am Anschlagbrett» geredet wird, käme eine Vertiefung nicht ungelegen.

Es ist eine riesige Fülle in dieser «Milchbüechlirächnig», dem neuesten Opus der beiden Akteure, die seit 2006 gemeinsam durch die Schweiz touren. Aus dem «Büechli» wurde ein gewaltig dickes Buch mit vielen Kurzkapiteln – war es zuweilen beinahe zu viel?

Der riesige Applaus war mehr als verdient, es wurden sogar Zugaben erforderlich. CDs und Gedrucktes konnte man wie gewohnt erwerben, bevor es Zeit für den Heimweg wurde.