Der jugendliche Leichtsinn

Ich mache einen Kinospielfilm. Was das bedeutet, weiss ich eigentlich nicht und das ist anscheinend gut so.



Anita Blumer
Anita Blumer

Meine Kostümbildnerin sagte mir neulich bei einem der mittlerweile täglich stattfindenden Produktionsmeetings, es sei gut, dass ich keine Ahnung gehabt hätte, was auf mich zukommen würde, weil ich sonst gar nie damit angefangen hätte. Naivität und Unwissenheit waren tatsächlich die Voraussetzungen für dieses Projekt. Denn seien wir mal ehrlich: Wenn ich gewusst hätte, dass sich mein Privatleben für zwei Monate oder womöglich noch länger in Luft auflösen würde, dann hätte ich selbstverständlich nichts damit zu tun haben wollen. Ich hatte immer den Verdacht, dass ich ungefähr doppelt so schnell arbeiten kann wie die meisten Menschen und dass ich eine überdurchschnittliche Begabung dafür habe, viele verschiedene Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Deswegen tat ich diesbezügliche Warnungen immer als Räubergeschichten ab. Ich dachte: Mag sein, dass ihr euch mit 16-Stunden-Tagen rumgeschlagen habt. Aber ich hab da meine eigene Methoden ...

Ha, wie naiv! Aber wer könnte schon überleben, wenn er das Ausmass aller Dinge genau erfassen könnte! Schliesslich ist es genau dieser Ermangelung an Vorstellungsvermögen zu verdanken, dass wir uns beispielsweise nicht ständig vor dem Tod fürchten. Weil wir eben gar nicht wissen, was auf uns zukommt. Wenn wir es wüssten, müssten wir vielleicht umkommen vor Grauen. Oder das umgekehrte Beispiel: Wir wissen nicht, was im Leben auf uns zukommt und nur deswegen können wir uns in den meisten Fällen so etwas wie Frohmut bewahren. Somit handelt es sich bei der Naivität, ganz im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung, um eine sehr wertvolle, wenn nicht sogar überlebensnotwendige Eigenschaft, welche die Energie freisetzt, das Unmögliche möglich zu machen. Der stetige Verlust dieser Naivität zugunsten der sogenannten Lebenserfahrungen ist der wohl schmerzlichste Verlust, den das Alter mit sich bringt. Mit zunehmendem Wissen werden wir abgeklärter und skeptischer gegenüber risikoreichen Unternehmungen. Insofern gilt es, die jugendliche Naivität nach besten Möglichkeiten auszunutzen.