«Fro bin ich dein» – die musikalischen Kostbarkeiten

Beim sonntäglichen Gang zur Kirche in Ennenda – einem bauhistorisch wertvollen Raum mit faszinierender Akustik – wollte es mit Schneeflocken in allen Grössen und in riesiger Dichte nicht mehr aufhören. Es waren eine bezaubernde Intensität und Vielfalt, die sich im Kirchenraum musikalisch fortsetzten, dank kreativen, hochbegabten und das Programm einfühlend gliedernden Interpreten.



(Bilder: p.meier)
(Bilder: p.meier)

Es kam eine Fülle zusammen, die bunter, feierlich und zugleich koketter nicht hätte sein können. Zu dieser erlebnisreichen Ganzheit trugen das Basler Ensemble «Canti B», für Musik der Renaissance, seit 13 Jahren bestehend, mit Witte Maria Weber, Gesang; Liane Ehlich, Renaissancetraverso, Blockflöte; Brian Franklin, Viola da gamba; und Bettina Seeliger, Clavicytherium, Cembalo und Blockflöte vieles bei, was mit Beseeltheit, Wärme, Eleganz, Professionalität, hoher gestalterischer Reife, Einfühlungsvermögen und gegenseitiger Abgestimmtheit ansatzweise erfassbar ist. Die Fülle dieses Programms hatte gar Wechselvolles zum Inhalt, war eine attraktive Vermischung von Weltlichem, Tanz, Sakralem, elegant Liebenswürdigem, Schwärmerischem, ein klein wenig Herzschmerz, vordergründig sehr Leidvollem, wortgebunden riesig Romantischem und grosser Leidenschaft. Man gab sich diesem Wechselbad an Stimmungen gerne hin, tauchte in eine Welt von kurzen Kompositionen ein, deren Bedeutung beim Hinhören wohltuend wuchs, zumal die beim Eintritt ausgehändigten schriftlichen Erläuterungen sehr willkommen waren und beim Erfassen einer eher ungewohnten, kaum bekannten musikalischen Epoche halfen.

Man wurde auf sympathische, packende und ergreifende Weise in die Musik des 16. Jahrhunderts eingeführt, machte da und dort Halt, in einem wahren Wechselbad aus Leidenschaft, stürmischer Zärtlichkeit, Trauer, Traum und Hingabe.

Das Interpretieren dieser Vielfalt war enorm fordernd

Witte Maria Weber sang mit grosser Wärme und Herzlichkeit, sich vornehm zurücknehmend, wenn es angezeigt war, dann wieder enorm leidenschaftlich. Der gestalterische Reichtum weckte Bewunderung. Nie musste sie laut und überzeichnend werden. Sie vermochte gleichermassen einfühlsam zu gestalten wie die auf verschiedenen Instrumenten Begleitenden. Die Virtuosität und Eleganz von Liane Ehlich waren elegant, packend, gar kunstreich. Brian Franklins Mitvollziehen auf der Viola da gamba weckte Ergriffenheit und Bewunderung. Er interpretierte mit hoher Präsenz, war riesig einfühlend. Und Bettina Seeliger spielte viele Kompositionen auf einem Instrument, das Clavicytherium hiess und beim ersten Hinschauen Fragen aufwarf. Irgendwie glich das einem Cembalo, das man senkrecht hingestellt hatte, das punkto Dimensionen viel kleiner als ein «normales» Cembalo war, aber unglaublich stark klang, auch weil die Tonfülle viel direkter zu den erfreulich zahlreichen Konzertbesuchern gelangte. Glücklicherweise folgten aus berufenem Munde Erläuterungen zu diesem exotischen Klangkörper. Das Zusammenwirken der Interpretierenden war spannend – und weckte eine stets bewundernde Zustimmung.

Werke von Josquin de Préz (um 1455 – 1521), Paul Hofhaimer (1459 –1537); Orlando di Lasso (1532 – 1594), Jean Estrée, Ludwig Senfl, Claudin de Sermisy; Sylvestro Ganassi und Bartolomeo Tromboncino – klingen nicht allein Teile dieser Namen schon wie Musik – lebten allesamt zwischen 1450 und 1600. All diese Kostbarkeiten stammen laut Programm aus Basels musikalischen Wunderkammern. Es waren viele Perlen, die – aneinandergereiht – einen aussergewöhnlich schönen, wertvollen Schmuck mit vielen Farben, Formen und Grössen ergaben und ein klein wenig erahnen liessen, was in den erwähnten Wunderkammern noch liegt.

Allein die Fülle der Liedtitel zeugte von der Vielschichtigkeit oder – wie es im Programm hiess – von der heilenden Wirkung und Medizin gegen Traurigkeit in der damaligen, eigentlich auch gegenwärtigen Zeit. Und dass es schon damals richtige Hits wie «Ach Lieb mit Leyd» des österreichischen Organisten Paul Hofhaimer gab, sei gerne erwähnt. Dieser «Schlager» wurde nämlich über ein halbes Jahrhundert hinweg immer wieder neu aufgelegt, ab- und umgeschrieben.

So waren die vielen Hinweise auf den Programmblättern lehrreiche und kurzweilige Hinführungen zur Musik- und Erlebniswelt einer längst vergangenen Zeit – die aber stimmungsgebunden recht aktuell geblieben ist. Der grosse Dank wurde durch Susanne Abesser, Mitglied des Kirchenrates Ennenda, und den langen, herzlichen Beifall ausgedrückt. Und bei kulinarischen Spezialitäten aus anderen baselgebundenen Wunderkammern wurde verweilt und geplaudert, bevor man – bei wiederum starkem Schneefall – den Heimweg antrat.