Was verbindet Mystiker und Bergsteiger?

«Extrembergsteiger sind in gewisser Weise die Mystikerinnen und Mystiker der Moderne.» Dies sagte Prof. Dr. theol. Katrin Bederna in ihrer «theologischen Spurenlese» in Schwanden.



Die Organisatorinnen mit der Referentin (von links): Pfarrerin Dietlind Mus
Die Organisatorinnen mit der Referentin (von links): Pfarrerin Dietlind Mus

Zuhörerinnen und Zuhörer aus Kirche und Bergsteigerszene waren der Einladung der Frauenkommission der Evangelisch-Reformierten Landeskirche sowie der Kirchgemeinden Schwanden und Ennenda gefolgt. Sie hörten einen spannenden Vortrag zum Thema «Mystik und Bergsteigen – eine theologische Spurenlese» von Prof. Dr. theol. Katrin Bederna von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. «Wie Fisch und Fahrrad» Mystik und Bergsteigen, eine skurrile Kombination? Es klinge zwar wie Fisch und Fahrrad, sagte die Referentin. Doch an Bergsteigererfahrungen lasse sich erkennen, was mystische Erfahrung sei. Überspitzt gesagt: «Extrembergsteiger sind in gewisser Weise (in den Grundstrukturen ihrer Erfahrung) die Mystikerinnen und Mystiker der Moderne.» Doch was ist Mystik? «Unmittelbares Gewahren Gottes und seiner selbst, das geschenkt ist und den ganzen Menschen ergreift, das Teil einer bestimmten religiösen Tradition ist und es nötig und möglich macht, diese Tradition neu auszurichten», so die Referentin. Normale Christen mit einem mehr oder weniger intensiven Gebetsleben seien unter den Mystikerinnen und Mystikern, was ein Wanderer zum Oberblegisee unter den Extrembergsteigern sei. Viele Parallelen, aber... Die Referentin nannte zahlreiche «wechselseitig erhellende Parallelen»: Mystik und Bergsteigen sind historische Phänomene und geschlechtsspezifisch. Sowohl bei den Mystikerinnen als auch bei den Extrembergsteigern handelt es sich um herausragende Persönlichkeiten, um starke, dominante Menschen. Sie erleben sich als von etwas ergriffen, das grösser ist als sie, das sie ganz fordert und einnimmt, als sich selbst entrissen. Beide bewegen sich am Rand der Gesellschaft, ihr Weg ist gefährlich und «wesentlich leidvoll». Durch den Körper wird die Körperlichkeit überwunden, die Erfahrungen sind für beide erotisch gefärbt. Mystik und Bergsteigen sind geprägt durch Phänomene wie Einsamkeit, Loslösung, Dualismus, Verstärkung und Selektion der Wahrnehmung, Macht usw. Erfahren wird das Selbst und das (ganz) Andere. Bei allen Parallelen in der Erfahrungsstruktur gibt es jedoch auch viele «Aber». Zum Beispiel die Nächstenliebe, die Machbarkeit, das Erfahren des Anderen, das Motiv dieses Erfahrenwollens, der Abstieg. Keine Machbarkeit Was aber bringt uns dies? Wie kann ich Gott erfahren? «Indem Gott sich zu erfahren gibt», lautete die Antwort von Katrin Bederna. Selbst die Bergerfahrung habe etwas davon: «Ich kann nicht sagen, was es ist, dass es mich ergreift und meinen Nachbarn nicht.» Die mystischen Erfahrungen klärten uns auf über die Möglichkeiten des Menschseins und über Gott, der in uns sei und unendlich über uns hinaus. Diese Nähe Gottes sei nicht heimelig – «kein Sonntagnachmittagspaziergang zum Oberblegisee» –, sondern anstrengend, sie schicke einen in die Niederungen der Welt, in die Gottferne. Und so schloss die Referentin mit einem Zitat des Mystikerin Mechthild von Magdeburg, welches die Eingangsthese auf den Kopf stellte: «Die auf Erden höchsten Berge können nicht die Offenbarung meiner Gnaden empfangen, denn die Flut meines Heiligen Geistes fliesst von Natur aus zum Tal.» Dem Vortrag folgte ein Gespräch mit den Anwesenden, in welchem unter anderem betont wurde, dass der Begriff «mystisch» in unserer Gesellschaft auch weiter gefasst werde, als Gefühl des Eingebundenseins ins grosse Ganze, und dass Grenzerfahrungen im Alltag ebenfalls möglich seien. Abgeschlossen wurde der interessante Abend mit einem Apéro, gespendet von der Kirchgemeinde Schwanden.